June 06, 2006:

[achtung! kunst] *ausstellung* : Frankfurt, Museum für Moderne Kunst: " Ghost Valley coming down the Mountain" (Serge Spitzer, Ai Weiwei)
 
     
 

faz, 29.05.2006
Die Armee der 96 Vasen
Von Michael Hierholzer

[image] Vorsicht, zerbrechlich: Die Vasen erinnern an die Zeit der
Mongolen-Herrschaft

29. Mai 2006
In älteren Filmkomödien war es ein beliebter „running gag“: bloß nicht
die teure chinesische Vase, womöglich aus der Ming-Dynastie, zerbrechen.
Im Frankfurter Museum für Moderne Kunst stehen nun gleich 96
Zierbehälter aus dem Reich der Mitte über zwei Räume auf dem Boden
verteilt, Objekte, die recht fragil wirken und dennoch aus nächster Nähe
betrachtet und umrundet werden dürfen. Sie stammen aus der Epoche vor
der Ming-Herrschaft, aus der Yuan-Zeit nämlich, als das mongolische
Kaiserhaus im fernöstlichen Riesenland regierte.

Aber was hat das zu bedeuten, daß die Bemalung bei allen Vasen
fragmentarisch ist und ihr Erhaltungsgrad offenbar von Exemplar zu
Exemplar nach einem festgefügten Muster variiert? Nun, es handelt sich
um Nachbildungen einer einzigen Vase, die zu den bedeutendsten und
teuersten ihrer Art zählt. Die Repliken freilich bestehen aus denselben
Materialien wie das Original, sie wurden in jener Provinz produziert, wo
auch die ursprüngliche Vase einst hergestellt wurde, und die Techniken,
damals wie heute angewandt, gleichen sich ebenfalls. Die
Detailgenauigkeit der Kopien bezieht sich sogar auf die Zeichen auf dem
Vasenboden.

„Ghost Valley coming down the Mountain“

Da nun aber die Bemalung nicht vollständig ist, läßt sich doch nicht
uneingeschränkt von Kopien reden. Nur aus einer ganz bestimmten
Perspektive wirken die Behältnisse, als seien sie überall bemalt. So
aber stellen sie eher einen Kommentar zum originalen Gegenstand als eine
Kopie dar. Assoziationen zur Terrakotta-Armee aus der frühen Kaiserzeit
stellen sich ein. Und die für die westliche Moderne so zentralen Fragen
nach Original und Fälschung, Alltagsgegenstand und Kunstobjekt, Aura und
Illusion des Authentischen. Zudem spielt das akkurat und nach schwer
entzifferbarer Regelhaftigkeit aufgebaute Ensemble mit Vorurteilen: Das
Ornament der Masse ist in den Augen vieler Europäer und Amerikaner
längst ein rein asiatisches Phänomen, während der Westen glaubt, den
Individualismus gepachtet zu haben.

Die Installation ist das Ergebnis der Zusammenarbeit eines
amerikanischen und eines chinesischen Künstlers: Es ist das erste Mal,
daß der 1951 geborene, in New York lebende Serge Spitzer und der 1957
zur Welt gekommene, in Peking beheimatete Ai Weiwei eine gemeinsame
Arbeit präsentieren. Ein anderes Werk des Amerikaners ergänzt das
rätselhafterweise „Ghost Valley coming down the Mountain“ genannte
Vasenwerk. In einem Museumsraum rasselt und rauscht es ununterbrochen.
Das Geräusch kommt von der Decke, durch deren Milchglas hindurch
Bewegungen zu sehen sind. Unsichtbare Windmaschinen bringen kleine
Objekte dazu, sich gegenseitig unentwegt zu berühren: Um was es sich
dabei handelt, soll nach dem Künstlerwillen verschwiegen werden.
Sportfreunde könnten es freilich am Klang erkennen.

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with kind regards,

Matthias Arnold (Art-Eastasia list)

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